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Übersetzung aus “L'Audiohile“ Heft 15, April 1980 mit freundlicher Erlaubnis des Autors
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Inhalt
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| | | | | | | | Langanhaltende Noten, Stabilität des Nachhalls, das Ausklingen der Töne
Für
den Autor sind dies die wichtigsten Punkte überhaupt, hier trennt
sich auch bei hochwertigen Verstärkern die Spreu vom Weizen. Es
kommt darauf an, das Klangbild richtig wiederzugeben, räumliche
Tiefe zu zeigen, weiche Töne und Dynamik zu beherrschen. Wenn ein
einziges Gerät das alles können soll, muß man ihm die
besten Voraussetzungen mitgeben: beste Bauteile, die richtige
Schaltung, große Stabilität und Leistungsfähigkeit des
Netzteils und vor allem richtige Verteilung der harmonischen
Verzerrungen.
Für einen Sänger oder einen Geiger ist
es schwer, einen lang anhaltenden Ton zu produzieren (d.h. die gleiche
Note mit äußerster Stabilität oder, noch schwieriger,
mit progressivem An- oder Abschwellen). Hier erweist sich die
technische Fertigkeit eines Künstlers. Wer schon einmal einen
Klavierstimmer bei der Arbeit erlebt hat, wird gehört haben, wie
eine Note nach dem Stimmen ins Klingen gerät, wie sie ohne
langsame und zyklische Pegelschwankungen so regelmäßig
verklingt, daß man dieses Verklingen gar nicht ohne weiteres
wahrnimmt. Die Reproduktion solcher Töne über eine
HiFi-Anlage ist äußerst problematisch, Fehler von
Komponenten, von Laufwerken (Gleichlaufschwankungen, Anregung durch
Resonanzen) oder Lautsprechern z.B. werden ganz schnell deutlich.
Dieser langanhaltende "klingende" Ton wird von Komponisten oft als
Ausdrucksmittel benutzt und zur Akzentuierung anderen, kurz
angeschlagenen und abrupt verklingenden, überlagert (Effekte des
Pedals/des Anschlagens der Tasten mit den Fingern). Sowohl in der
Realität wie in der Reproduktion über eine Anlage bewirkt die
größtmögliche Respektierung dieser Nuancen sehr viel
für die Wahrnehmung des Hörers. Wenn die Wiedergabe gelingt,
können diese Möglichkeiten klanglichen Ausdrucks einen
Hörer trotz des Vorsatzes, bewußt, analytisch zu hören
auf eine Ebene instinktiver, emotionaler Teilnahme befördern; er
wird eher fühlen als zuhören.
Wenn man über
Klänge spricht, wie ich sie hier zu beschreiben versucht habe, und
über solche ganz entgegengesetzter Natur, kurze und dumpfe,
spricht man automatisch auch über die Stabilität des
Nachhalls. Es sind dies deshalb so schwer zu reproduzierende
Klänge weil sie meist sehr viel leiser sind als die übrige
Musik - sie können unendlich leise sein, unendlich weich und sanft
und in dieser Natur ganz und gar beständig.
Ich kann hier
einen Kenner zitieren (Roland Condamines), der einmal gemeint hat,
daß man einen Raum hört, auch wenn sich niemand darin
aufhält. Dieses Moment des Atmosphärischen findet sich sehr
selten in reproduzierter Musik, viele Geräte über die
Schlagzeug und Jazz etwa sich ausgezeichnet anhören, versagen
dabei. Speziell die Becken (abhängig von Preis und Hersteller)
verlangen die Beherrschung des "Ausklingenlassens" - nach dem
Anschlagen schwingt das Becken lang nach (das hat nichts mit mangelnder
Kontrolle von Impulsen zu tun), und zwar ein gutes Dutzend Sekunden
lang, bis hinunter zur Hörschwelle. Fast immer - das betrifft vor
allem die Hochtöner - muß man feststellen, daß ein
Verstärker dieses Ausklingen brutal abbricht und dadurch den
Eindruck hervorruft, daß etwas im Klang fehlt, entweder als Manko
im Hochton oder allgemeiner als Mangel an Offenheit. "Offenheit"
verstehen wir dabei als Mischung vieler lebendiger Klänge in einer
Wiedergabe von Räumlichkeit, die um jeden Preis stabil gehalten
werden muß.
Das Unterschlagen von Mikroinformationen macht
den Hintergrund einer Fotografie flau und flach und aus einer
Plattenaufnahme ohne eigentliche Verfärbungen eine Angelegenheit
ohne Wärme, Atmosphäre, Emotion.
Wir wollen hier nicht
Kabeln oder Transistoren emotionale Fähigkeiten andichten;
unbestreitbar hört man im Konzert am besten, was der Künstler
ausdrücken will; unbestreitbar ist aber auch, daß manche
Geräte diese Seite der Musik besser als andere transportieren -
indem sie feinste Nuancen übertragen, ein kaum wahrnehmbares
Vibrato, winzige Schwankungen der Intonation, kurz, einen Reichtum an
Mikroinformationen, ohne die der Musik und dem Klang etwas Wesentliches
fehlt.
Die Qualität einer Kette wird oft an der getreuen
Wiedergabe von Becken oder Kontrabaß gemessen. Aber, und das wird
jeder Pianist unterschreiben, nicht die Note, der angeschlagene Ton an
und für sich ist wichtig, sondern die Art und Weise wie er sich
entwickelt, wie er sich ausklingend mit der Stille mischt. Einen Ton
hören ist wichtig, besser ist es, ihn zur Gänze zu hören.
Im
2. Satz des Klavierkonzerts Nr. 23 (KV 488) von Mozart gibt es eine
Passage, die als Beispiel dienen kann. Im Konzert und in der Wiedergabe
muß man das Klavier von Anfang an als vom Orchester umgeben
wahrnehmen, auch wenn dieses noch schweigt; man spürt die
Saalatmosphäre, hört die erste Folge von leisen, kurzen und
gedämpften Noten, gefolgt von länger anhaltenden, sehr
weichen Tönen, dann das Einsetzen des Orchesters mit den
charakteristischen Farben seiner Instrumente, dem winzigen aber eben
existenten Vibrato der Violinen - all das muß ganz genau so
wiedergegeben und nicht irgendwie arrangiert, zurechtgerückt
werden.
Solche Stellen, in denen der Komponist ein intensives
Gefühl vermitteln will, kann ein schlecht spielendes Orchester,
eine falsche Note genauso in eine lächerliche Abfolge von
Tönen verwandeln wie es eine ungeeignete Anlage tun wird. Ich sage
es noch einmal: Die Fähigkeit, anhaltende Noten mit stabilem
Nachhall, das Verklingen von Tönen richtig zu reproduzieren, halte
ich für das wichtigste Kriterium bei der Beurteilung von
HiFi-Komponenten, Vorverstärkern, Endstufen, Lautsprechern.
Wenn
die Wiedergabe komplexer Klänge mit ihren unvorhersehbaren und
kaum wahrnehmbaren Schwankungen nicht gelingt, liegt das oft am
Auftreten von Intermodulationsverzerrungen oder an mangelnder
Stabilität.
Es ist bekannt, daß Stabilität
direkt vor oder nach impulsförmigen oder Rechtecksignalen schwer
zu erreichen ist (unregelmäßiges Nachschwingen von
verhaltnismäßig langer Dauer). Man wird leicht einsehen,
daß Lautsprecher mit geringem Wirkungsgrad, schwerer Membran oder
zu schwachem Magneten dem Signal nicht exakt genug folgen können;
aber auch Transformatoren reagieren hörbar auf die
Überlagerung einer sinusförmigen Schwingung mit kleinsten
Unregelmäßigkeiten.
Jean Hiraga
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