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Aussenansichten

Auf der Suche nach der verlorenen Emotion
Übersetzung aus dem Editorial der französischen Publikation "Diapason",
Autor Jean Marie Piel


Anläßlich einer Reise nach Deutschland konnte ich in Frankfurt die Bekanntschaft mit einem außergewöhnlichen Studio machen: Es verkauft HiFi-Anlagen, mit denen musikalische Emotion auf eine Weise freigesetzt wird, wie man es vom Konzert kennt - Erlebniswerte, die eine in ihrer Perfektion immer kälter werdenden Technik sonst kaum noch zu vermitteln in der Lage sind.

Nach vielen Jahren Hörerfahrung bin ich zu einem seltsam klingen Schluß gekommen. Es gibt eigentlich nur zwei Wege zur Musikwiedergabe: Das Ideal des möglichst exakt zu reproduzierenden Klangs, und das der Weckung von Emotion. Seltsam, daß das Eine ohne das Andere möglich ist. Einige sehr teure und auf den letzten Stand der Technik gebrachten Anlagen sind vom rein klanglichen Standpunkt beeindruckend; das ganze Spektrum vom schwärzesten Baß bis zu den höchsten Höhen ist da, keine Spur von Rauschen oder Verzerrungen. Und trotzdem bleibt man kalt, keine Spur von Gefühl, nichts von dem, was die Magie der Musik ausmacht.

Dagegen kann die grobschlächtige Technik eines Trichtergrammophons einer 78er Schellackplatte zwar nur einen lächerlichen Frequenzumfang, dafür aber massenhaft Verzerrungen und Laufgeräusche entlocken, und wird doch jeden, der Ohren hat, in ihren Bann schlagen. Man muß nur einmal unter solchen katastrophalen technischen Voraussetzungen einem der großen Sänger der Vergangenheit lauschen, um ermessen zu können, was auf dem Weg zur hifidelen Vollkommenheit verlorengegangen ist. Natürlich gibt es nicht nur die Extreme, zum Glück kann man auch dem Miteinander von Klangtreue und Gefühlsintensität begegnen, aber wie selten!

Fast immer ist die Erweiterung des Wiedergabebereichs um einige Oktaven nach oben und unten so teuer zu bezahlen wie die vielen Nullen hinter dem Komma der Verzerrungswerte - mit einem Verlust an Kohärenz und an Lebendigkeit, vor allem bei den Feininformationen die im Bereich der höchsten Ohrempfindlichkeit liegen, eben da, wo Stimmen und Musikinstrumente nicht zufällig die größte Energie abstrahlen...

Das wiederholte Erlebnis, wie oft technische Perfektion und frustierende Hörerlebnisse miteinander einhergehen, könnte dazu verleiten, die aktuelle Highfidelity mit einer Frau zu vergleichen, deren Schönheit zwar verlockend, deren Wesen aber langweilig ist. Meine Fahrt zum Auditorium 23 in Frankfurt hat mich außergewöhnliche Anlagen erleben lassen, die beides leisten:

Klangtreue auf höchstem Niveau (tonale Ausdehnung, Reichtum der Klangfarben, Feinheit der Nuancen, realistische Ausdehnung von Instrumenten und Stimmen, Saal-Atmosphäre) ebenso wie die Fähigkeit, auf der emotionalen Ebene Dinge zu entfesseln, die ich vorher nur im Konzert erlebt habe.

Wir haben versucht, zu klären, wie eine Anlage das macht: Platine Verdier (ein in Frankreich nicht angemessen bewertetes Laufwerk), Röhrenelektronik von Ken Shindo (Vertrieb durch Auditorium 23) und Lautsprecher gebaut aus Teilen von Altec haben jede Platte anders wiedergegeben, und immer gleich lebendig. Ein Phänomen, das so eng mit dem persönlichen Erleben verbunden ist, kann man nicht in wenigen Begriffen erfassen, einige Aspekte dieser intensiven Wirkung liegen allerdings auf der Hand. Ich nenne hier nur die Reichhaltigkeit und die traumwandlerische Sicherheit, mit der ein Vibrato erklingt. Die meisten Anlagen lassen die Stimme oder das Instrument durch Überlagerung mit einer mechanisch anmutenden Schwingung an - und abschwellen, auch die besseren können das Vibrato nicht wirklich mit Leben erfüllen, die weite Skala der Ausdrucksmöglichkeiten wird reduziert, verarmt. Über eine Anlage des Auditorium 23 jagd einem die nämliche Stelle eine Gänsehaut über den Rücken.

Das gilt auch für die Momente der Ruhe: sie haben Tiefe, Fülle und eine Spannung, an der die perfekte Stille der CD (noch) zuschanden geht. Es gilt ebenso für die Wiedergabe der Nuancen, in denen soviel von dem steckt, was die Interpretation eines Musikstücks erschließt. Es ist vor allem das Verdienst der faszinierenden Shindo-Elektronik, daß die feinsten Verästelungen des Klangs, wie in der Realität, mit unmerklich feinen Abstufungen bis tief in die Stille hineinreichen. Das mag auch erklären, daß man nicht das Bedürfnis nach großer Lautstärke verspürt; nie war man ferner davon, ein Manko an Lebendigkeit und Emotion durch Ausgangsleistung wettzumachen.

Im Auditorium 23 hört man leise - und hält den Atem an. So nah an der Musik wird Highfidelity zur Kunst. Unser Glück, daß ihr auf dieser Welt noch einige Menschen dienen.

Jean Marie Piel, heute Chefredakteur der Publikation “DIAPASON“, dürfte Lesern von “L'AUDIOPHILE“ als damaliger Chefredakteur der Rubrik “Art Sonores“ bekannt sein.

Wir danken Jean Marie Piel für die freundliche Erlaubnis, seine Berichte verwenden zu dürfen und Claus H. für´s Übersetzen.

Zu diesem Thema möchten wir auch einen Artikel empfehlen, der in STEREOPHILE veröffentlicht wurde mit dem Titel "God in in the Nuances", erschien in den Heften Januar 2000 und Februar 2000, Autor ist Markus Sauer, der deutsche Korrespondente für STEREOPHILE.

http://www.stereophile.com/features/203/index.html